Die automobile Welt ist seit weit über hundert Jahren eine, die sich auf Erdöl stützt. Der Wechsel zu elektrischer Mobilität ist deshalb weit mehr als nur ein völlig anders aufgebauter Motor unter der Haube.
Der Umstieg von einem kraftstoffbetriebenen auf ein elektrisches Fahrzeug ist für viele nur ein auf die Antriebstechnik und persönlichen Kosten beschränkter Schritt. Dies deckt sich auch mit den typischen Antworten auf die Frage, warum nicht deutlich mehr Menschen einen reinen „Stromer“ kaufen. Glaubt man einer recht aktuellen Umfrage, steht dahinter nämlich der vergleichsweise hohe Kaufpreis und die vielen nicht genügende Reichweite von, im Schnitt, 3- bis 400 Kilometern.
Reichweite und Preis – das sind die wichtigsten persönlichen Gründe. Betrachtet man sich jedoch die Automobilität als Ganzes, dann zeigt sich schnell, warum der reine Umstieg von einer Antriebs- und Energiespeicherungstechnik auf die andere nur ein Endpunkt ist. Denn der Mobilitätswandel ist nicht weniger als ein Jahrhundertprojekt, welches zahlreiche Faktoren miteinander vereint. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.
Grund 1: Automobile Formensprache kann und muss neu gedacht werden
Zugegeben, manche Elektrofahrzeuge würde man von außen nicht als solche erkennen, wenn nicht auf dem Kennzeichen ein „E“ am Ende stünde. Konventionelle Designs haben einen hohen Anteil an den seit Jahren rapide steigenden Zulassungszahlen. Der Grund dafür ist simpel: Elektrofahrzeuge sind sowohl für Hersteller wie Kunden revolutionäres Neuland.
Ergo wählen viele Hersteller einen Weg, der nicht zu viel Althergebrachtes gleichzeitig über Bord wirft – je stärker man dies tut, desto größer sind die Risiken eines Fehlschlages. Dies zeigt sich nicht zuletzt beim optisch recht ungewöhnlichen BMW i3. Dieser stand lange in den Showrooms herum. Erst in jüngster Zeit entwickelte er sich zu einem Verkaufsschlager.
Dementsprechend setzen viele Fahrzeugbauer zunächst nur darauf, die antriebstechnische Komponente zu erneuern, aber den Look an Verbrennern zu orientieren – auch VWs ID.3 wirkt, abgesehen von Details, eher konventionell. Allerdings ist dies kein Weg, der sich unendlich lange beschreiten ließe:
- Der elektrische Antriebsstrang ist deutlich kleiner (und weniger komplex) als die Verbindung aus Verbrennungsmotor und Getriebe
- Die elektrische Energieversorgung hingegen ist deutlich größer (und schwerer) als der typischerweise vor der Hinterachse eingebaute Kraftstofftank
Zusammen mit dem Wegfall von Mitteltunneln für Antriebswellen bzw. Auspuffanlagen ergibt dies vollkommen neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten – nicht zuletzt aus Sicht der Crashsicherheit.
Bloß gilt auch hier: Die Fahrzeugwelt steckt in vielerlei Hinsicht noch im Erdölzeitalter. Designer und Ingenieure müssen erst lernen, diese Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu nutzen – und Käufer, sich daran zu gewöhnen. Die Elektroautos der weiteren 2020er dürften deshalb deutlich weniger althergebracht wirken als ihre heutigen Vorväter.
Grund 2: Vor allem die Speichertechnik muss enorm weiterentwickelt werden
Reine Elektroantriebe begleiten die Automobilität seit ihren Anfangstagen. Sie sorgten für die ersten Automobilrekorde und zeitweise war völlig unklar, welches Konzept sich durchsetzen würde. Da es erdölbasierende Kraftstoffe waren, fehlten und fehlen der Automobiltechnik wertvolle Jahrzehnte der Entwicklung – vor allem in Sachen Energiespeicher.
Denn Akkus für Elektrofahrzeuge müssen nicht nur höchste Leistungsdichten aufweisen und crashsicher sein. Sie müssen vor allem trotzdem so leicht wie möglich sein – je schwerer ein Fahrzeug, desto höher sein Energieverbrauch; das lernt man in jeder Fahrschule. Doch obwohl es seit den Frühtagen der Automobilität immer wieder Elektrofahrzeuge gab und Akkus auch in anderen automobilen Anwendungen zum Einsatz kommen (etwa bei sämtlichen nichtnuklearen U-Booten bis heute), so gab es niemals einen derartigen Entwicklungsdrang zu höchster Leistungsdichte bei gleichzeitig geringstem Gewicht.
Erst der Wunsch nach einem massiven Wandel der Automobilität seit etwa der Jahrtausendwende machte dies in der Form nötig. Doch da über viele Jahrzehnte die Batterieentwicklung nicht so sehr in Richtung Leichtbau tendieren musste, existierte eine Entwicklungslücke. Zugegeben, kaum ein anderes Segment erfuhr in jüngster Vergangenheit so umfassende Entwicklungssprünge. Dennoch muss noch viel getan werden. Auch, weil jedes Kilogramm die Auswirkungen von erhöhten Leistungsdichten abschwächt, es aber aus Crashsicherheitsgründen auch nicht möglich ist, nur auf konstruktiven Leichtbau bei der Karosserie zu setzen.
Grund 3: Die Stromversorgung muss sich völlig wandeln
Die Umstellung der inselartig angelegten, auf fossilen Brennstoffen basierenden Stromerzeugung in den meisten Ländern auf eine, die gleichzeitig klein- wie großzellig ist, zahllose Erzeuger und Verbraucher beinhaltet und dennoch höchste Erzeugungssicherheit besitzt, wäre für sich allein ein Jahrhundertprojekt.
Denn mit jeder Solarplatte auf einem Dach, jedem Energiespeicher im Keller, jedem neuen Schaltwerk und jedem neuen Windrad wird es schwieriger, den Strom in dem notwendigen, ständig einzuhaltenden Gleichgewicht der Netzfrequenz zu halten. Damit dies gelingen kann und auch zuverlässige Prognosen erstellt werden können, wird bereits heute sehr fähige KI herangezogen.
Wenn sich jedoch auch der Energiebedarf der Mobilität auf Elektrizität umstellen soll, und das möglichst schnell, kommt zu all dem nicht nur eine weitere Unsicherheitskomponente hinzu, sondern ein stark erhöhter Stromverbrauch.
Denn der Energiebedarf des Verkehrssektors beträgt in Deutschland relativ konstant zirka 750 Terawattstunden. Das ist beispielsweise noch etwas mehr, als die gesamte Industrie verbraucht – und viel mehr als alle Haushalte. Bloß wurde und wird dieser mobile Bedarf bislang weitgehend durch Erdöl gestillt. 750 Terawattstunden bedeuten, dass die (regenerative) Stromerzeugungskapazität mindestens um diesen Wert ausgebaut werden muss. Zusätzlich zu dem, was durch den allgemeinen Wandel zu erneuerbaren Energien zu bewerkstelligen ist.
Dabei genügt es auch nicht, einfach bloß mehr Stromleitungen zu verlegen. Die gesamte Netzinfrastruktur muss sich so wandeln, dass es zu keinen Problemen kommt, wenn beispielsweise zwischen 17 und 18 Uhr ein Großteil aller Pendler zig Millionen Fahrzeuge mit dem Stromnetz verbinden.
Hierin findet sich eine der größten Aufgaben – nicht zuletzt deshalb, weil dieser Aus- und Umbau die sowieso schon sehr hohen (deutschen) Strompreise nicht noch weiter steigern darf. Andernfalls nämlich würde sich wiederum die Attraktivität der E-Mobilität abschwächen. Sie setzt auf das sehr starke Argument der deutlich geringeren energiebezogenen Unterhaltskosten – selbst im Angesicht der heutigen, hohen Strompreise:
- E-Auto: (ca.) 15 kWh / 100 km: 15 x 30 Cent = 4,50 € / 100 km
- Benziner: (ca.) 7 l / 100 km: 7 x 140 Cent = 9,80 € / 100 km
Grund 4: Die Steuerverluste müssen aufgefangen werden
Ganz grob gerechnet (weil Kfz in den offiziellen Werten nicht gesondert erfasst werden) sorgt allein der Verkauf von Benzin und Diesel in Deutschland über die Energiesteuer für ein Steueraufkommen von ungefähr 37 Milliarden Euro. Zuzüglich der Kfz-Steuer bedeutet dies Einnahmen von roundabout 46 Milliarden Euro.
Noch bis Ende 2030 werden jedoch Elektrofahrzeuge von der Kfz-Steuer befreit bleiben. Auch danach müssen sie nur die Hälfte des Steuersatzes zahlen, der sich jedoch sowieso anders aufbaut als bei Verbrennern und nur das zulässige Gesamtgewicht betrachtet:
- </= 2000 kg: 5,625 € / angefangene 200 kg
- >2000 / <3000 kg: 6,01 € / angefangene 200 kg
- >3000 kg: 6,39 € / angefangene 200 kg
Das heißt, selbst nach 2030 muss die Bundesregierung mit einem Steueraufkommen zurechtkommen, das nur die Hälfte desjenigen Werts beträgt, der bei herkömmlich angetriebenen Fahrzeugen anläge. Auch ist es nicht möglich, über den Umweg der Strombesteuerung vorzugehen, weil im Gegensatz zu Diesel und Benzin zumindest jeder Hausbesitzer durch Photovoltaik die Möglichkeit hat, seinen eigenen „Kraftstoff“ zu erzeugen.
Nicht zuletzt, weil bei gleichzeitig steigenden Zulassungszahlen noch bis Ende 2030 gar keine Steuereinnahmen durch Elektroautos fließen, muss Deutschland lernen, diese massive Mindereinnahme zu kompensieren. Zwar fließen auch die Kfz- und Energiesteuern in einen großen Topf, sind also nicht zweckgebunden; jedoch wird dieser Topf in Zukunft deutlich weniger beinhalten – und jeder Trick, ihn über das Kfz wieder zu befüllen, wäre gefährlich kontraproduktiv und würde die E-Mobilität abermals hemmen.
Zusammengefasst
Elektromobilität ist weit mehr als nur der Austausch von Motoren und Energieträgern an einem Fahrzeug. Es ist ein Mammutprojekt, weil sich praktisch alles ändert, was sich in über 100 Jahren der Nutzung von fossilen Kraftstoffen etabliert hat – wobei der Abbau von Tankstellen und veränderte Produktionsbedingungen für die Erdölindustrie noch hinzukommen.
Tatsächlich haben wir es deshalb mit der größten Aufgabe seit Beginn der Automobilität zu tun – denn im Gegensatz zu dieser Vergangenheit muss sich heute nicht nur Neues etablieren, sondern muss gleichzeitig auch Etabliertes und Gewohntes aufgegeben werden. Und das alles muss zudem auf der gesamten Welt stattfinden, nicht bloß in einzelnen Staaten.