Viele glauben, es würde genügen, alle Verbrenner-Fahrzeuge durch solche mit Elektroantrieb zu ersetzen. Zwar würde dies das Abgas-Problem in der Tat weitgehend lösen, aber viele andere drängende Mobilitätsfragen blieben unbeantwortet.
Seitdem sich der Gedanke bei Politik, Bevölkerung und Fahrzeugherstellern durchgesetzt hat, dass das verbrennungsmotorbetriebene Fahrzeug keine Zukunft mehr hat, sind erst wenige Jahre vergangen.
Tatsächlich dauerte es bis in die 2010er, bevor sich nennenswert etwas getan hat. Dafür allerdings ist der Wandel mittlerweile rasant und imposant – wurden 2015 nur 12.363 Elektrofahrzeuge hierzulande neu zugelassen, waren es 2021 allein bis Oktober bereits 267.255!
Ein Trend, der sicher nicht mehr abebben wird und nicht mehr abebben soll – allein wegen seiner Umweltvorteile. Allerdings verkennen viele, dass es nicht genügt, den Verkehr 1:1 zu elektrifizieren, um alle mobilitätsbezogenen Probleme zu beseitigen.
Tatsächlich kann eine solche Mobilitätswelt und damit eine Antriebswende nur der Kern sein, um den sich weitere Aufgaben drehen. Erst dies führt zu einer vollständigen Verkehrswende.
1. Der wenig diskutierte Faktor Gebrauchtwagen
In den Diskussionen um ein politisch definitives Ende des Verbrenners wird häufig nur ein Verkaufs- beziehungsweise Zulassungsverbot für Neuwagen gemeint.
Fordern also beispielsweise die Grünen, dass ab 2030 keine Verbrenner mehr verkauft werden dürfen, dann sind damit ausschließlich brandneue Fahrzeuge gemeint – auch sämtliche anderen Zeitpunkte von anderen Parteien, Organisationen und Ländern drehen sich um diesen Kern.
Nur liegt es auf der Hand, dass ein solcher Stichtag lediglich eines bedeutet: Dem gesamten nationalen Fahrzeugbestand wird ab dann kein weiteres neues Verbrennerfahrzeug mehr zugeführt – zumindest im PKW-Bereich und mitunter auch bei LKW.
Es gäbe jedoch natürlich weiterhin einen erheblichen Bestand von verbrennungsmotorbetriebenen Fahrzeugen. Fahrzeuge, die angemeldet sind und solche, die es zumindest theoretisch wieder sein könnten – etwa bei Gebrauchtwagenhändlern.
Es könnte also durchaus ab 2030 verboten sein, neue Verbrenner zu verkaufen und zuzulassen. Bis jedoch solche Fahrzeuge Seltenheitswert im Straßenbild bekämen, wäre mindestens das halbe Jahrhundert vergangen. Hierzu sei angemerkt, dass bereits heute durchschnittliche PKW in Deutschland 9,8 Jahre alt sind. Dies dürfte sich in den kommenden Jahren noch erhöhen. Hinzu kommen außerdem Fahrzeuge, die erheblich älter sind – 9,8 Jahre sind nur der Mittelwert aus knapp 50 Millionen PKW. Es gibt also viele jüngere Autos, aber auch ebenso viele deutlich ältere Fahrzeuge.
Außerdem dürfte noch etwas realistisch sein: In den finalen Jahren vor einem Verkaufsverbot könnte es zu einem letzten „Run“ auf Verbrenner kommen. Dieser könnte zusätzlich befeuert werden, weil Händler und Hersteller extreme Rabattaktionen betreiben würden, um Lagerbestände abzubauen – da diese nach dem Stichtag hierzulande unverkäuflich und somit wertlos wären.
Optionen für diese Problemstellungen gäbe es zwar, aber sie alle dürften große Diskussionen hervorrufen:
- Es wird nach einem Verkaufsverbot auf ein „natürliches“ Ende durch Verschleiß gewartet. Dies wäre die sanfteste Lösung, würde aber ein echtes Verbrenner-Ende lange hinauszögern.
- Zusammen mit dem Verkaufsverbot würden die Betriebskosten für Verbrenner per Dekret deutlich erhöht, vornehmlich Fahrzeug- und Kraftstoffsteuern.
- Es würde untersagt, einen einmal auf einen Halter zugelassenen Verbrenner auf eine andere Person zuzulassen. Das allerdings würde den kraftstoffbetriebenen Teil des Gebrauchtwagenmarktes zusammenbrechen lassen und bei kostbaren historischen Fahrzeugen extremen Wertverlust bedeuten.
- Man bestimmt lediglich eine mehrjährige Übergangsphase, während der bereits zugelassene Verbrenner noch betrieben werden dürfen, bevor ihre Betriebserlaubnis erlischt.
Hinzu käme natürlich noch die härteste Lösung: Zusammen mit einem Verkaufsverbot für Neufahrzeuge würde ein ebensolches für Gebrauchte in Verbindung mit einem Betriebsverbot erlassen. Das jedoch dürfte nur eine Theorie sein, da die davon ausgelösten Probleme und wahrscheinlich Proteste groß sein dürften.
Tatsache ist jedoch, dass in den kommenden Jahren eine mögliche Lösung erarbeitet werden muss, schon um Klarheit für die gesamte nachgeschaltete Industrie der Ersatzteile und Werkstätten, die Gebrauchtwagenbranche und die Fahrzeugbesitzer zu schaffen.
2. Die Beruhigung des Stadtverkehrs
Selbst wenn alle Fahrzeuge elektrisch wären, so würde sich vor allem in Städten kaum eine nennenswerte Verbesserung der bisherigen Lage ergeben – sogar der vielthematisierte Feinstaub bliebe in nennenswertem Umfang bestehen. Schließlich sind Reifen und Bremsen selbst bei reinen „Stromern“ zwei maßgebliche, kaum vermeidbare Emittenten.
Das Problem hier besteht schlicht darin, dass Städte nicht für derartige Fahrzeugmassen ausgelegt werden können, ohne dass es zu untragbaren Beeinträchtigungen anderer Faktoren kommt – etwa Platz zur Linderung der Wohnungsnot.
Klar ist deshalb, dass sich künftig deutlich weniger Fahrzeuge (herkömmlicher Konstruktion beziehungsweise Größe) in den größeren Städten bewegen sollen. Auch dazu stünden verschiedene Maßnahmen zur Verfügung. Sie alle eint, dass sie intelligent gestaltet sind. Das heißt, sie sollen sich umsetzen lassen, ohne dass es eine insgesamt reduzierte Mobilität gibt, also sich Stadtbewohner und von außen Kommende trotzdem frei bewegen können. Möglich sind hier unter anderem:
- Ein Zufahrtmanagement in Verbindung mit deutlich ausgebautem ÖPNV und solchen Lösungen der Individualmobilität, die einen geringeren Fußabdruck aufweisen. Beispielsweise eine Zufahrt nur für elektrische Kleinst-PKW oder Lastenfahrräder.
- Ein generelles Aussperren von privaten Motorfahrzeugen, wobei hier durch gesteuerte Barrieren beispielsweise Krankenwagen, Taxis oder Feuerwehrfahrzeuge dennoch Zufahrt bekämen – aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, das Straßenverkehrsnetz in Städten gänzlich zu entfernen, so wie es einige wenige fordern.
- Deutlich verringertes und/oder verteuertes Parkplatzangebot, um Alternativen attraktiver zu machen.
- Intelligent gestaltete Zeiten, in denen sich Transportfahrzeuge bewegen dürfen. Beispielsweise nur außerhalb der üblichen Geschäftszeiten oder der typischen Rush Hour.
Tatsache ist jedoch, dass ganz konkret (Groß-)Städte höchstwahrscheinlich mindestens eine Reduktion der PKW-basierten Individualmobilität erleben werden. Das ist in einer elektrifizierten Welt überdies deshalb unumgänglich, weil sonst ein viel zu großes Problem im Zusammenspiel mit dem Aufladen entstünde.
3. Der Faktor Fahrzeuggrößen und -gewichte
Es mag zwar nicht ganz richtig sein, dass in Deutschland nur noch SUV verkauft werden. Und es stimmt erst recht nicht, dass jedes Sports Utility Vehicle derartige Ausmaße erreicht, wie beispielsweise ein BMW X5 – tatsächlich sind die meisten SUV kaum mehr als normalgroße PKW mit etwas mehr Bodenfreiheit und Dachhöhe.
Allerdings kann dies nicht verhehlen, dass PKW generell ein Größen- und Gewichtsproblem haben. Das, was hierzulande verkauft wird, ist insbesondere im Angesicht dessen, dass bei den wenigsten Fahrten alle Sitze belegt sind, einfach zu viel.
Dazu sei nur angemerkt, wie extrem beispielsweise der VW Golf über die verschiedenen Generationen zugelegt hat. Maß der erste Golf noch etwa 371 x 161 Zentimeter und wog je nach Modell zwischen 750 und 805 Kilogramm, so bringt es der zeitgenössische Golf VII auf 426 x 180 Zentimeter und zwischen 1205 und 1615 Kilogramm.
Dieses Wachstum hat diverse Nachteile:
- Auf eine gegebene Fläche passen weniger Fahrzeuge. Dies gilt für Straßen ebenso wie für Parkplätze.
- Der Energieverbrauch und Leistungsbedarf, um den Wagen auf ein gewünschtes Tempo zu bringen und dort zu halten, ist größer.
- Mehr Masse bedeutet, dass im Zweifelsfall größerer Schaden entsteht, weil bei vergleichbarem Tempo mehr Bewegungsenergie anliegt.
- Das größere Gewicht beansprucht Fahrbahnoberflächen deutlich stärker. Besonders dann, wenn diese sowieso bereits angeschlagen sind – wie es vielerorts der Fall ist.
Das alles gilt selbst unter der Prämisse, dass sich die oft behauptete größere Gefahr für Fußgänger durch höhere/schwerere Autos nicht belegen lässt.
Doch warum haben PKW überhaupt so zugelegt? Neben dem Wunsch nach mehr Platz steht dahinter vor allem eine im Vergleich zu früheren Fahrzeuggenerationen extrem erhöhte Crashsicherheit. Fahrgastzellen, die viel Energie absorbieren können, benötigen mehr Material und wiegen entsprechend mehr. Nicht zu vernachlässigen ist überdies der gestiegene Komfort, der ebenfalls Gramm für Gramm dazu beiträgt.
Auch dieses Problem muss angegangen werden. Noch ist Stahlblech das im Fahrzeugbau relevanteste Material. Ob sich dies jedoch in Zukunft halten kann, ist eher unwahrscheinlich. Hier müssen deutlich leichtere Materialien dominieren – allein schon, um den berühmten Smartphone-Effekt bei batterieelektrischen Fahrzeugen zu vermeiden:
Bei Smartphones steigen Jahr für Jahr die Akku-Kapazitäten. An der Betriebsdauer mit einer Ladung hat sich jedoch durch ebenso gewachsene Bildschirme und stärkere Prozessoren kaum etwas zum Positiven verändert. Gleiches wird batterieelektrischen Fahrzeugen drohen, wenn nicht konsequenter Leichtbau betrieben wird.
4. Der Verkehrswandel in den Köpfen
Einige Zahlen:
- 1970 gab es in Westdeutschland 13,94 Millionen PKW;
- 1990 waren in Gesamtdeutschland 30,68 Millionen zugelassen;
- 2021 betrug der Bestand 48,24 Millionen PKW.
Das heißt, selbst wenn nur die die gesamtdeutschen Zahlen betrachtet werden, sind innerhalb von 31 Jahren fast 20 Millionen PKW dazugekommen – obwohl sich Deutschlands Bevölkerungszahl zwischen 1990 und 2021 nur von 79,43 auf 83,24 Millionen erhöhte.
Anders ausgedrückt:
- 3,81 Millionen mehr Einwohner,
aber - 17,56 Millionen mehr Autos.
13,75 Millionen Fahrzeuge sind deshalb Zweit- und Drittwagen, laufen als Dienst- oder Firmen-PKW. Tatsächlich dürfte das Verhältnis an „überflüssigen“ Fahrzeugen noch dramatischer sein, weil im Vergleich zu damals deutlich weniger junge Volljährige heute ein Auto besitzen.
Natürlich muss man diesen Punkt realistisch betrachten. So nehmen beispielsweise heute deutlich mehr Frauen am Erwerbsleben teil, die ebenfalls ein Auto zum Pendeln benötigen und es gibt viel mehr Single-Haushalte. Überdies war 1990 die Qualität des gesamten ÖPNV vielerorts eine andere, bevor die großen Spar- und Privatisierungsmaßnahmen der Nachwende-Ära begannen.
Dennoch bleibt die schwierige Tatsache, dass der PKW weiterhin von zu vielen als Selbstverständlichkeit und als einzige mögliche Mobilitätslösung angesehen wird. Häufig sogar wider die Tatsachen – vielerorts dauert die Fahrt mit dem eigenen PKW durch Verkehrsstaus deutlich länger als es mit anderen Mobilitätsformen der Fall wäre.
Für viele Experten ist dieser Punkt der schwierigste auf der gesamten Agenda der Verkehrswende. Man kann den privaten PKW elektrifizieren, kann ihn kleiner und leichter machen und sogar seine Nutzung erschweren. Es ist jedoch deutlich schwieriger, den PKW aus den Köpfen vieler zu bekommen. Hier muss sich etablieren, dass (Elektro-)Fahrräder, Scooter, Busse, Bahnen und nicht zuletzt zwei gesunde Beine nicht nur überhaupt Alternativen sind, sondern oftmals deutlich bessere, günstigere, zeit- und/oder nervenschonendere Alternativen.
Leider, so muss man sagen, hat die Pandemie hier nicht nur gebremst, sondern viele Erfolge rückgängig gemacht. In einer Zeit, in der jeder unnötige Kontakt vermieden werden soll, ist das eigene Auto, nur vom Fahrer besetzt und von Innenraum-Luftfiltern gut geschützt, für viele die naheliegendste Lösung.
5. Der ÖPNV muss eine dramatische Verbesserung erfahren
Offiziell hat Deutschland einen Urbanisierungsgrad von 77,5 Prozent. Das heißt, so viele Menschen leben in Siedlungen, die offiziell als Stadt geführt werden. Inoffiziell unterschlägt dieser Begriff jedoch eine Tatsache: Stadtrechte sind nicht an Verstädterung geknüpft.
Es gibt deshalb auf dem flachen Land genug Städte, die nicht einmal 10.000 Einwohner aufweisen und nur aufgrund ihres Status als beispielsweise Standort der Verbandsgemeindeverwaltung eine Stadt sind.
Dies hat für die Verkehrswende ein enormes Gewicht. Nur 31,97 Prozent der Deutschen leben tatsächlich in einer Großstadt nach Definition, also ab 100.000 Einwohner. Und nur in solchen Städten ist der ÖPNV bereits heute eine echte Alternative in Sachen Taktung und Preisgestaltung.
Je kleiner eine Stadt hingegen wird, desto stärker liegt sie tendenziell in einem eher ländlichen Raum und damit einem Gebiet, das von einer stark zerstreuten Besiedelung und Infrastruktur sowie davon ausgelöst teils erheblich größeren Distanzen für alle Wege gekennzeichnet ist.
Es sind Gebiete, in denen häufig nur zweimal täglich ein Bus verkehrt – sofern er überhaupt reguläre Fahrgäste befördern darf und nicht nur Schulkinder. In solchen Gebieten, die wie gesagt einen erheblichen Teil von Deutschlands Bevölkerung beherbergen, funktionieren viele Möglichkeiten der Verkehrswende nicht.
Hier kann man selbst mit einem E-Bike nicht realistisch dutzende Kilometer zur Arbeit pendeln, selbst wenn die einzelnen Dörfer und Städtchen durch gut ausgebaute Fahrradautobahnen verbunden werden. Hier funktioniert auch Carsharing oftmals nicht. Selbst Mini-PKW mit Elektromotor, die für viele Städte als wichtige Lösung gelten, sind hier teilweise keine Lösung – denn wenn Menschen hier einkaufen, dann aufgrund der Distanzen meist für mindestens eine Woche.
Das Einzige, was hier wirklich in Sachen Verkehrswende funktioniert, ist ein ÖPNV, der diesen Namen verdient. Nur muss klar sein, dass dies in fast jeder denkbaren Konstellation ein Verlustgeschäft ist. Für die hier nötige Taktung gibt es deutlich zu wenige zahlende Fahrgäste. Experten sind sich deshalb einig, dass ein solcher ÖPNV nur durch staatliche Unterstützung bestehen kann – und dass hier noch am ehesten eine Notwendigkeit für privat besessene PKW besteht.
6. Die Anpassung der Arbeitswelt
Was ist der mit Abstand wichtigste Grund, warum so viele Deutsche einen PKW besitzen? Was ist der bedeutendste Grund, warum so viele Investitionen in Radwege und ÖPNV getätigt werden müssen?
Es ist die Arbeitswelt. Neben dem Einkaufen ist der Weg von und zur Arbeit für die meisten Menschen der bedeutendste und häufigste Grund, Mobilität wahrzunehmen. Würde niemand arbeiten, gäbe es wohl keinen einzigen Staukilometer in Deutschland.
Und die Pandemie hat definitiv gezeigt, wie dramatisch sich Arbeit auf Mobilität auswirken kann:
- In München standen Pendler 2020 nur noch 65 Stunden im Stau statt sonst 87;
- In Berlin waren es nur noch 46 Stau-Stunden statt 66;
- In Nürnberg sank die Zeit auf immerhin 35 von 42 Stunden.
Vor allem in den großen Städten sorgten die Shutdowns dafür, dass sich das Fahraufkommen um bis zu ein Viertel reduzierte – und dies wie gesagt, obwohl aus Infektionsschutzgründen deutlich mehr Menschen zum PKW griffen.
Ein maßgeblicher Grund dafür ist Heimarbeit. Eine letztlich einfache Rechnung: Wer zuhause arbeitet, benötigt zumindest für die Arbeit gar keine Form von Mobilität. Egal ob Bürgersteige, Busse oder eben PKW.
Experten sehen deshalb einen durchschlagenden Erfolg der Verkehrswende nachhaltig an eine veränderte Arbeitswelt geknüpft. Tenor: Wenn jeder, der wirklich nur am Computer arbeiten muss, es zuhause tun würde, wäre die Verkehrswende nicht nur deutlich schneller zu schaffen, sondern würden die meisten anderen diesbezüglichen Herausforderungen abgemildert und vergünstigt.